Einfach mal machen. Die andere Seite
Eine meiner, doch etwas gefährlicheren Erfahrungen in Guatemala, hat auch etwas mit „Einfach mal machen“ zu tun.
Auf dem Weg nach Rio Dulce musste ich einen Fluss queren. Vor mir zwei Autos die mit „Schmackes“ durch den Fluss gefahren sind. Beide sind heil am anderen Ufer angekommen.
Der Autofahrer und mein Ego in mir dachte. Was die können kann ich auch. Also Gang eingelegt und los. Nicht ganz so schnell wie meine beiden Vorgänger und wohl auch nicht auf dem richtigen Weg. Und es kam, wie es kommen musste. Mitten im Fluss ging es weder vor noch zurück.
Der Motor lief und das Wasser strömte langsam in den Fußraum. Die Tür ging nicht auf und ich hatte, viel schneller als ich mir das jemals vorstellen konnte, Panik. Als bekennender Tatort und Krimi Fan “kannte” ich natürlich die Situation im Auto zu sitzen und vom Wasser eingeschlossen zu sein. Doch die Feuchtigkeit in den Schuhen zu spüren ist deutlich anders. Mein Herz schlug bis zum Hals.
Also in Windeseile die wichtigen Sachen in den Rucksack gepackt (Computer, Telefon, Tagebuch und meine Geldbörse). Das musste ich retten! Die Kleidung habe ich auf dem Rücksitz gelassen. War mir egal was damit passiert.
Dann bin ich ausgestiegen. Filmreif aus dem Fenster mit den Füßen zuerst. Ich wollte dann ganz entspannt ans andere Ufer waten.
Im Wasser war ich ruhig. Schließlich hatte ich ja als ehemaliger Wasserballspieler jede Menge Erfahrung mit dem Wasser.
Doch das hier war anders. Nach ein paar Schritten hat mich die Strömung mitgerissen und ich bin mehr als 500 Meter den Fluss hinuntergespült worden. An die ca. 15 Sekunden unter Wasser kann ich mich nur insofern erinnern, dass mir durch den Kopf ging was ich ohne Auto anfangen soll. Und wie blöd man nur sein kann, so eine Schwachsinns Aktion durchzuführen. Da war nix mit Licht am Ende des Tunnels oder das Leben zieht an mir vorbei. Ich habe an ein Auto gedacht. An mein Auto, wie banal.
Würde in Zukunft jedoch vorziehen, wenn ich wirklich sterbe, bedeutungsvollere Gedanken zu haben.
Nach 500 Metern wurde das Wasser ruhiger und ich konnte ans rettende Ufer. Und ob ihr es glaubt oder nicht. Das Ufer war eine dicht bewachsene Urwald Uferböschung. Mein erster Gedanke war, Wasser überlebt, hoffentlich beißt mich nun keine giftige Schlange. Das Menschliche Gehirn ist schon etwas merkwürdig.
Dann bin ich den Hang hinaufgekrabbelt und stand auf einer Straße.
Nach 200 Metern habe ich dann ein paar einheimische Bauarbeiter getroffen, die mich erst einmal wie einen Außerirdischen angeschaut haben. Tropfnass, Rucksack auf dem Rücken, aus dem das Wasser lief und ein auf doppelte Größe angeschwollener Arm, der wie verrückt geblutet hat. In diesem Moment hatte ich noch keine Schmerzen, da das Adrenalin wohl alles unterdrückt hat.
Die erste Frage war jedoch. Bist du mit dem Auto durch den Fluss gefahren. Ist das Auto ok? Kein Wort zu mir, kein „Mitleid“ mit meinen Verletzungen oder dem nassen Inhalt meines Rücksacks.
(Alle Dinge außer des Telefons, waren natürlich nicht mehr zu gebrauchen, Totalschaden) Nur mein Handy hat überlegt. (Spoiler: Samsung mit Schutzhülle…)
Ein Tuck Tuck Fahrer hat mich dann auf die Spitze eines Hügels gebracht um Empfang zu haben, damit ich telefonieren konnte. Alhan, mein Partner auf der Kakao Farm hat sofort Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und ist zu mir gekommen.
Inzwischen hatten sich auf beiden Seiten des Flusses sicher mehr als 150 Menschen angesammelt. Alle haben das Auto im Fluss bestaunt. Ich auch.
Wie schon gesagt, das Hauptaugenmerk bestand darin, den Wagen aus dem Fluss zu bekommen. Und hier zeigt sich eine Besonderheit, die ich schon ganz oft hier in Guatemala erleben konnte. Praktizierte Solidarität, nicht umsonst, aber mit ganzem Herzen und voller Motivation zu helfen.
Sehr spannend war, dass die Menschen, die viel haben, auch viel nehmen. Ein Verwandter von Alhan, der ihn mit seinem 4X4 Auto zu mir gebracht hat nahm für diesen „Freundschaftsdienst“ wirklich 450 GTQ, also 50 Euro. Als ich fragte, was die Menschen denn bekommen sollten, die mein Auto am Seil befestigt hatten, sagte er 50GTQ für Beide reichen. „Die haben eh nicht so viel“ und wir verwöhnen sie, wenn wir mehr geben. Das wäre nicht gut.
In diesem Moment habe ich ein Gefühl in mir gespürt was ich so noch gar nicht kannte. Wut, Verachtung und Mitleid. Die Worte die mir noch in den Sinn kamen kann ich nicht aufschreiben.
Was führt dazu so zu denken? An diesem Beispiel wurde mir sehr klar, warum Guatemala in dem Zustand ist, indem es sich zurzeit befindet. Die reichen Menschen wollen nichts abgeben, die armen Menschen fügen sich in Ihr Schicksal und fast alle glauben, dass Gott es schon so gewollt hat. Es ist zum Verzweifeln.
Alhan hat also eine riesen Straßen Baumaschine organisiert. Es hilft, wenn man an einem Ort bekannt ist wie ein bunter Hund. Zwei Männer haben sich bereit erklärt das „Anbinden“ des Autos zu übernehmen. Heist, sie sind in voller Montur in den Fluss gestiegen und haben die Seile am Auto befestigt. Aufgrund der Strömung nicht ungefährlich.
Für die Straßen Baumaschine war es ein Klacks den Wagen aus dem Fluss zu ziehen. Der ist nun wieder trocken und sauber und als kleine Erinnerung hat er eine Beule in der Heckklappe.
Alle waren froh, dass mein Auto keinen Schaden genommen hat. Ich wollte eigentlich auch begutachtet und bemitleidet werden. Da hatte aber niemand Zeit und Lust dazu.
Im Centro de Salut wurde ich dann behandelt. An der Schlange konnte ich vorbei gehen, da ich immer noch geblutet habe. Das sage ich mir jedenfalls. Doch wenn ich ehrlich bin, weil ich ein weißer, reicher (jedenfalls in den Augen der Q echi) bin und weil Alhan den Bürgermeister und die Leiterin des Centros de Salut gut kennt.
Die Behandlung war dann rustikal. Ich fragte ob etwas gebrochen sein. Die Krankenschwester hat mich nur angeschaut. Wie wild auf meinem Arm rumgedrückt. Das tat richtig weh und dann gesagt. Nur eine Wunde, ich nehme mal Alkohol und reinige die Wunde. Wenn du Medizin willst, dann musst du die in der Apotheke selber kaufen. Ob sie die Wunde verbinden könnte? Konnte sie nicht, weil kein Material da ist. Im Centro de Salut werden nur die Ärzte und Schwestern bezahlt. Material jedoch nicht. Das muss man mitbringen, wenn man einen Verband haben will. Und für wirkliche Probleme muss der Patient nach Coban fahren. Eine 80 KM entfernte Stadt, in der es ein Krankenhaus und Ärzte gibt.
Doch die beiden Krankenwagen sind immer mit dem Transport von Risiko Schwangerschaften beschäftigt. Die Sterberate hier in Guatemala von Müttern und Neugeborenen ist eine der höchsten auf der Welt. Und in der Region Alta Verapaz die höchste in Guatemala.
Also wenn ich hier mal ein wirkliches Problem habe, dann kann ich nur hoffen nach Coban zu kommen. Mit Herzinfarkt oder Anderem werde ich mich dann wohl hier zur Ruhe legen. Keine Chance auf eine Behandlung.
Mein heutiges Fazit: Einfach mal machen ist immer noch gut. Doch wenn du einen Fluss überquerst, solltest du schon wissen was du tust, oder dir einfach Hilfe holen. Und manchmal ist es auch gar nicht gut einen Fluss auf Teufel komm raus zu überqueren, Denn manchmal sagt dir das Leben, dass es gut wäre sich einen anderen Weg ans andere Ufer zu suchen.
Und wenn du im Centro de Salut behandelt werden willst, dann ist für westeuropäische „Weicheier“ kein Platz.